Kurzgeschichten
Als der Weihnachtsstern rote Ohren bekam

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Im Vorgarten stand zerzaust ein Weihnachtsstern. Man sah ihm überhaupt nicht an, dass er ein Weihnachtsstern war, denn seine Blütenblätter waren nicht rot sondern graugrün und grisselig. Von Zeit zu Zeit durchbebte ein Zittern die gekräuselten Blätter. Und nur der kahle Feigenstrauch vernahm sein leises Jammern. „Ob die mich vergessen haben“? „Stell dich mal nicht so an“,  raunte die Feige. „Schmeiß einfach deine Blätter ab wie ich, dann merkst du die Kälte gar nicht und kannst prima überwintern. Naja, wenn’s nicht allzu kalt wird. Du wirst sehen, dass wir Zwei noch viel Spaß haben werden.“

„Du hast ja keine Ahnung“, seufzte der Weihnachtsstern. „Ich stamme doch aus Mexiko und bin für diese eisigen Temperaturen viel zu zart. Ich werde erfrier-rier-ren, ja bitterlich  erfrier-rier-rier-ren, wenn ich nicht  wie jedes Jahr im Winter ins Haus komme. Und blühen kann ich so schon gar nicht. Dabei bin ich doch ein Weihnachtsstern, verstehst Du, ein Weihnachtsstern.  Und der blüht nun mal an Weihnachten.“ „..oder gar nicht“, feixte die Feige. „So wie du aussiehst, so zerrupft und runzelig, wirst du nicht mehr viel Freude verbreiten. Der Jüngste biste ja auch nicht gerade. Deine Leute haben dich sicher schon abgeschrieben.“  „Mal bloß nicht den Teufel an die Wand“, bibberte der Weihnachtsstern. „Bis jetzt hat das mit dem Blühen noch jedes Jahr geklappt. Ach,  da kommen sie ja  mit dem Spaten. Gerettet!“

„Meinst Du wirklich, wir sollten dieses Gerippe von einem Weihnachtsstern  noch mal reinholen“ begutachtete die Frau die schüttere Pflanze. Und dann stöhnte sie: „Wieder  die ganze Litanei mit dem Auf- und Zudecken und
Wecker stellen, nur  damit er wieder blüht?“

„Lass es uns einfach noch einmal probieren,“ versuchte der Hausherr zu vermitteln. „Wenn’s nicht klappt, können wir immer noch einen neuen kaufen.“ Er  setzte den Spaten an, um einen passenden Ballen auszustechen. „Mensch, nicht so dicht“, stöhnte der Weihnachtsstern, „du kappst mir ja ne Menge Wurzeln. Und still für sich dachte er: „Wenn ich das bloß überlebe.“ Der Mann topfte die Pflanze in einen Blumentopf und schleppte sie  zusammen mit seiner Frau in den Wintergarten. „Viel Glück“, rief die Feige hinterher und „bis nächstes Frühjahr in alter Frische“. Doch der Weihnachtsstern, voller Hoffnung und Vorfreude auf das warme Zuhause, versuchte hochkonzentriert das Gleichgewicht in der noch losen Erde zu halten.

Was dann im Wintergarten passierte, kannte er schon aus den Jahren zuvor. Mitten durch sein Wurzelgeflecht bohrte sich eine lange dünne Stange. Daran wurde ein schwarzer Folienumhang befestigt, der ihm die nötige lange Nachtruhe verschaffen sollte. Eine junge  Bananenstaude wippte mit ihren Blättern. „Was bist denn du für einer?“ Der Weihnachtsstern guckte verdutzt. „Aber ich war doch letztes Jahr auch schon hier; weißt du nicht mehr?“  Die Banane wusste von gar nichts; denn sie war das Kindel von der Mutter-Banane, die im Sommer geblüht und Früchte getragen hatte. Und danach wanderte Mutti-Banane auf den Kompost und Baby-Banane hatte null Ahnung, was davor gewesen war.  Und damit war das Gespräch beendet; denn der schwarze Vorhang schloss sich und der Weihnachtsstern  versank in einen langen Traum.

Rhythmisches Piepsen erklang. Der Wecker sollte den Mann erinnern, den schwarzen Vorhang um den Weihnachtsstern zu öffnen. Da war es schon zwölf Uhr mittags. „Uah, gähnte der Weihnachtsstern“ und räkelte seine Zweige.  „Guten Morgen“, begrüßte ihn die Banane. „Du bist schon ein rechter Langschläfer! Schau mal, die Sonne scheint, und das mitten im November. „ Verschlafen blinzelte der Weihnachtsstern nach allen Seiten. „Hat es heute schon Dünger gegeben“, fragte er die Banane, „irgendwie habe ich Hunger“.  „Nee“ erwiderte die Banane, „Dünger gibt es nur am Sonntag. Da musst Du noch vier lange Nächte schlafen.“

In den nächsten Wochen beguckte der Mann mehrmals täglich die Blattrosetten  des Weihnachtssterns mit einer Lupe. Der warf sich dann regelrecht in Pose und presste Pflanzensaft in das Ende seiner Zweige.  „Meinst du wirklich, dass aus diesem Gestrüpp noch etwas wird“, bezweifelt die Frau den Erfolg der Bemühungen ihres Mannes.  Das kränkte den Weihnachtsstern so sehr, dass sich einige Blätter einrollten.

„Wenn du genau hinsiehst, dann haben fast alle Zweige neue Blätter bekommen“. Der Weihnachtssterne versuchte zu nicken. „Und ich glaube“, fuhr der Mann fort, „in den Spitzen bilden sich auch schon erste Blütenansätze.“ Nun guckte auch die Frau genauer hin.  „ Aber wenn das nicht bald deutlicher zu sehen ist, dann fliegt er halt raus“, räumte sie ein. Der Weihnachtsstern hörte es mit Grausen. „Ich streng mich doch wirklich an“, jammert er vor sich hin, „dabei dauert es doch jedes Jahr so lange, bis ich die Blüten rausdrücken kann und sich die Blätter rot färben. Dass ich nicht mehr so taufrisch aussehe, wie vor fünf Jahren ist ja wohl unvermeidlich. Die beiden sollen mal in den Spiegel gucken. An denen gehen die Jahre auch nicht spurlos vorüber.“

„Komm jammere nicht“, meldet sich die kleine Banane.  „Du kannst wenigstens länger überleben. Ich mache das höchstens drei Jahre. Dann wachsen mir wieder Früchte und ich sterbe ab.  Also reiß dich am Riemen, du allein hast es in der Hand, eine ordentliche Figur zu machen und anständig zu blühen. Streng dich einfach an.“

Auch die weiteren Wochen vergingen im gleichen Schema. Jeden Abend verhüllte der schwarze Umhang den Weihnachtsstern und erst am folgenden Mittag erblickte er wieder das Tageslicht. Er trieb neue Blätter und bei genauem Hinsehen konnte man auch schon winzige Blütenansätze erkennen. Aber rote Blätter zeigten sich nicht. Der Hausherr untersuchte die frischen Triebe mit strengem Blick und entschied, dass die tägliche Verdunkelung jetzt aufhört. „Wenn er’s noch schafft, dann darf er bleiben. Aber auf jeden Fall kommt ein neuer Weihnachtsstern dazu. So sieht das doch unmöglich aus.“

Nach ein paar Tagen schleppten sie  tatsächlich einen prächtig blühenden neuen Weihnachtsstern in den Wintergarten und platzierten ihn direkt neben dem alten. Die Neue, denn so schön konnte ja nur ein Mädchen sein, plusterte sich erst mal richtig auf, bevor sie von dem Alten überhaupt Notiz nahm. „So einen knorrigen, starken und hohen Weihnachtsstern hab ich ja noch nie gesehen“, meinte sie  richtig bewundernd. „Im Gewächshaus hat man mir gesagt, dass wir nach Weihnachten alle auf den Kompost fliegen. Da scheint es dir ja besser ergangen zu sein. Du hast doch mindestens schon fünf Jahre auf dem Buckel.“

„Fünf Jahre stimmt ziemlich genau“, erwiderte der Alte erstaunt und ein bisschen verlegen, weil ein so hübsches Mädchen ihn bewunderte. „Anstatt mich wegzuwerfen, wurde ich allerdings immer ordentlich gepflegt, im Frühling in den Garten gepflanzt und nach dem Blühen beschnitten, damit ich wieder neu austreibe und zu Weihnachten im Wintergarten blühe.“ „Na da hab ich’s ja gut getroffen. Wäre schön wenn ich hier ein paar Jahre durchhalten könnte“, freute sich die Schöne. „Kannst du deine starken Arme nicht ein bisschen ausstrecken und mich berühren“, schmeichelt sie mit sehnsüchtiger Stimme.

Der Alte wusste gar nicht wie ihm geschah, seine trübe Stimmung war wie weggeblasen. Vor Verlegenheit schoss  ihm der Saft in alle Pflanzenspitzen und die Blätter erröteten. Wie eine glückliche Vorsehung tobte in diesem Augenblick der kleine Enkel in den Wintergarten und versetzte ihm einen kräftigen Stoß. Die beiden Weihnachtssterne rutschen zusammen. Es war gar nicht mehr zu erkennen, wo welche Pflanze begann. Zumal auch der alte plötzlich kräftig blühte. „Oh, ist das schön, so mit dir zu kuscheln“, seufzte die Schöne, „hier möchte ich mit dir noch ein paar Jahre bleiben. Das wäre wunderbar.“ 

Am nächsten Morgen beim Gießen traute der Hausherr seinen Augen nicht. „Das musst du dir mal ansehen“, rief er seine Frau. „Es sieht aus, ob als sich die beiden Pflanzen umarmen. Aber das Tollste ist, dass der neue Weihnachtsstern auf den alten abgefärbt zu haben scheint. Er blüht!“

Als am Weihnachtsabend die Kerzen am Christbaum flackernd leuchteten, strahlten die roten Blüten der beiden Weihnachtssterne fast noch heller. Zwar waren die Blätter des Alten ein bisschen kleiner, aber ihr Rot mindestens so satt und leuchtend, wie das des Neuen. Die beiden standen eng aneinandergeschmiegt in der Ecke und flüsterten sich liebe Worte zu. Dabei wussten sie gar nicht, dass die Menschen Weihnachten auch das Fest der Liebe nennen.

© Fischer + Siegmund

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Letzte Aktualisierung 12.01.2023

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