Kurzgeschichten
Der verschwundene Kirschbaum
und ganz viel Happyend

„Upps“ - Lisette griff ins Leere. Fast traumwandlerisch war sie vom Apfelbaum zum Kirschbaum geflogen, wo seit Jahren ihr Häuschen im mittleren Geäst hing. Nichts. Nach einem leichten Durchhänger flog sie weiter zum Birnbaum und erholte sich von dem Schock. „Ich hab mich verflogen“, konstatierte die Blaumeise und suchte nach Bekanntem um sich. Vogeltränke. Futterhäuschen. Gewächshaus. Alles da. Aber etwas war anders. Etwas fehlte: Ihr Häuschen. Und der Kirschbaum, in dem es hing, auch.

Der verschwundene Kirschbaum1

Wütend zeterte sie und hopste im Birnbaum hin und her. Dort hing zwar auch ein Häuschen, aber da wohnte Mathilde und beäugte Lisette neugierig. „Wo warst Du denn heute“, fragte Mathilde, da hast Du aber was verpasst. Der Baum ist heute umgehauen worden.“ Ungläubig blickte Lisette in das Nichts. „Und wo ist mein Häuschen“, klagte sie. Da meldete sich Max der Eichelhäher vom Apfelbaum. „Ja, das ist richtig schade, der Baum war so herrlich verknorzt. Und immer fand sich darin was zu Picken.“

Lisette erschrak. Etwas Buschiges sprang an ihr vorbei. Ach so: Henry das Eichhörnchen. „Ihr habt’s einfach“, hechelte Henry, „ich muss nun lange Umwege übers Dach machen, „damit ich von einem Baum auf den anderen komme. Und meine Haselnüsse an den Wurzeln haben sie auch mitgenommen.
 
Lisette saß unschlüssig auf dem Birnbaum. Was tun? Sie hatte sich doch ausgerechnet hier mit Johann verabredet. Der Meisenmann war zuhause rausgeflogen, weil ihn seine Frau beim Busseln mit einer Kohlmeise erwischt hatte. Großzügig, wie Lisette war, hatte sie ihm angeboten, dass er den kalten Dezember bei ihr verbringen dürfe. Und nun? Unter ihr hüpfte ein kleiner Meisenjunge von Ast zu Ast und knabberte an einem Sonnenblumenkern. „Iss was, dann ist dir nicht so kalt“, riet ihr der Winzling. „Du musst kräftig Fett bunkern, das hat mir schon meine Mamma beigebracht.“ Lisette seufzte, holte sich einen Kern und knackte ihn gekonnt auf. Wenigstens das Futterhäuschen gab es noch.

Es wurde dunkel. Lisette plusterte sich auf und drückte sich in eine Astgabel. „Was für ein Unglück. Ich bin obdachlos“. Der Mond, der diese Nacht sein volles Gesicht zeigte, blinzelte ihr zu. „Nun sei mal nicht verzweifelt, Lisettchen, ich habe Dein Häuschen gesehen. Ich kann es Dir nicht beschreiben, weil ich zu schnell über die Erde fliege. Ich leuchte Dir ein wenig. Aber beeile Dich, sonst zieht da ein anderer ein. Es sitzt schon jemand auf dem Dach!“

Lisette erhob sich vorsichtig und orientierte sich am Mondlicht. Gar nicht weit, da sah sie ihr Häuschen an einem Walnussbaum hängen. Sie stürzte sich hinein und staunte. „Wer hat mein Bettchen ausgeräumt“. Tatsächlich war das Häuschen mauseleer. Der Mensch Bernhard hatte es vor dem neuen Aufhängen gesäubert und die alten Nestlagen entfernt. Lisettchen rümpfte den Schnabel: „Igitt – das roch ja wie Iltis und Marder zusammen. Und die schöne Arbeit aus dem letzten Jahr alles weg.“

Der verschwundene Kirschbaum2

Der Mond hatte noch eben das Häuschen in warmes Licht getaucht, doch nun bildete sich ein Schatten. Jemand saß am Einflugloch mit einem Strohhalm im Schnabel. „Johann, bist Du das“, rief Lisettchen neugierig. Aber es folgte nur ein schüchternes „Nö, ich bin der Martin und ich war zuerst da. “. Und mit diesen Worten legte er seinen Strohhalm auf den Boden. „Wer zuerst da ist, darf einziehen“, beharrte die kleine Meise auf ihrem Recht. „Aber ich lebe hier seit fünf Jahren“, schimpfte Lisette und erzählte ihr Missgeschick mit dem umgehauenen Baum. Martin flatterte zurück zum Loch, blieb aber sitzen. „Darf ich denn wenigstens heute Nacht hier bleiben“ fragte er zaghaft, ich hole auch noch ein paar Blätter, damit es nicht so hart ist.“ Lisette hatte ein Einsehen. Martin flog noch zehn Mal hin und her und dann hatten beide etwas Warmes unter den Füßen und schliefen ein.

Am nächsten Morgen fütterte Martin sie mit Sonnenblumenkernen. Lisette war davon sehr angetan. „Wer hat Dir denn solche Manieren beigebracht! Trotzdem: Ich hole mir jetzt einen Schluck Wasser und danach verabschiedest du dich gefälligst. Ich erwarte Besuch“. Doch Martin druckste herum: „Du hast mir die Manieren beigebracht. Und als ich damals aus dem Häuschen guckte, wo das Futter bleibt, bin ich rausgefallen. Ich konnte aber noch nicht richtig fliegen. Zum Glück hat mich ein kleines Mädchen gefunden und gefüttert bis ich stark genug war, um wegzufliegen. Du bist meine Mamma.“ Lisette kullerte vor Rührung ein Tränchen herunter. „Komm her mein Martin, lass dich knuddeln. Wir konnten damals nur kurz nach dir suchen. Wir mussten uns um Deine Geschwister kümmern, weil die immer Hunger hatten. Du warst einfach verschwunden. Ach wie schön, dass ich dich wieder habe.“

Jetzt tauchte auch noch Johann im Einflugloch auf und drängelte sich ins Häuschen. Lisette erzählte ihm Martins Geschichte. „Platz ist in der kleinsten Hütte. Wenn wir zusammenrücken, reicht es auch für uns drei. Jetzt müssen wir aber erstmal unser Häuschen auspolstern. Das geht zu Dritt viel schneller. Also ran an die Arbeit.“

Der verschwundene Kirschbaum3

Es dauerte immerhin zwei Tage bis das Vogelhäuschen kuschelig ausgepolstert war. Dann setzten Sie sich aufs Dach ihres Häuschens und schauten den Menschen zu, wie sie im Wintergarten den Weihnachtsbaum schmückten und das Fest vorbereiteten. Dazu gehörten auch zwei besonders leckere Meisenknödel, die Bernhard in die Äste des Walnussbaums hängte.

© Fischer + Siegmund 2015

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Letzte Aktualisierung 12.01.2023

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