Kurzgeschichten
Ines und José - für immer

„Es muss etwas Schreckliches passiert sein“, grübelte Ines und reckte sich vor ihrer Höhle. Die schlanke Pinguinfrau schickte ihren suchenden Blick in die aufgepeitschte Weite der Magellanstraße. Wo blieb José? Das letzte Mal waren sie im Golf de Peñas zusammen geschwommen. Er war lieb wie immer. In der Bahia Salvación wollte er einen Abstecher zu einer Insel machen und nachkommen. Ab da hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Und nun war er schon einen Monat überfällig. Während fast alle anderen Pinguinfrauen schon auf ihrem Ei saßen und von ihren Männern verwöhnt wurden, watschelte Ines voller Trauer alleine morgens zum Wasser, schluckte ein paar Fische und stand dann wieder den ganzen Tag wartend vor ihrer Höhle.

Ines und Jose1

Trübe Gedanken zogen durch ihr Gehirn. Was, wenn José von einem Seelöwen gefressen wurde? Oder in eine Schiffsschraube geraten? „Der wird eine Schönere gefunden haben“, keckerte Nachbarin Zara schadenfroh und rutschte mit dem Bauch auf ihrem Ei herum. Ines schaute kritisch an sich herunter. Es war doch alles schön an ihr. Der Bauch voll weiß, das weiße Band um Hals und Bauch sauber geputzt. Im Gegensatz zu Zara hatte sie sogar rote Lidschatten und eine weiße Linie unter dem Schnabel, die aussah, als würde sie immer lächeln. Ines fand, dass sie eine besonders schöne Pinguindame sei. Und José hatte ihr das immer und immer wieder gesagt.

Lasse, Zaras Mann, rührte der traurige An-blick von Ines. Als Zara mal eingenickt war, versuchte er, Ines etwas aufzumuntern. „José würde Dich nie verlassen“, versicherte er ihr. „Er hat mir so oft erzählt, dass du die schönsten Küken der ganzen Insel aus dem Ei zauberst und dass er dich von Herzen liebt!“. Ines blickt Lasse dankbar an und sah wieder seufzend auf das Wasser. Immer wenn sie dachte, dass José bei den heimkehrenden Pinguinmännern sei, war es doch ein fremder, der ihm nur ähnlich sah.

Einmal, als sie gerade etwas eingenickt war, hörte sie ein Schlurfen hinter sich. Aber als sie sich umschaute, war es nur der bucklige Miguel, der mit seinem Schnarchen und Herummeckern der ganzen Kolonie auf die Nerven ging. Noch nie hatte sie ihn mit einer Frau gesehen. Sie wusste, dass er ein Auge auf sie geworfen hatte. Er wusste aber auch, dass sie fest mit José ging; und das schon seit fünf Jahren.

Nach und nach schlüpften nun die Küken aus den Eiern. Um Ines herum wurde es immer wuseliger. So sehr die Pinguinmuttis die Kleinen unter ihren Bauch stopften, so gelang es einigen doch immer wieder, zu entwischen. Das war gefährlich; denn auf der Insel nisteten auch Kormorane und große dicke Möwen, die sich nur zu gerne ein Küken zum Mittagessen pflückten. Ines half fleißig, sie wieder einzufangen und wurde zum Dank dafür gefüttert.
 
Inzwischen war es schon Mitte Dezember geworden. Die Sonne ging nur noch kurz unter und die Tage wurden immer länger. Immer häufiger tauchten nun vor Ines Höhle alleinstehende Herren auf und versuchten, sie zu verführen. Aber Ines ließ keinen an sich ran. „Wenn mein José schon nicht wiederkommt“, schwor sie sich, „dann schwimme ich zu den Seelöwen auf der Isla Marta und lasse mich fressen“. Bei diesem Gedanken rollten ihr dicke Tränen aus den Augen. Sie konnte gar nicht mehr klar sehen, sonst hätte sie die humpelnde Gestalt an der Steinbrandung eher erkannt. José. Was für ein trauriger Anblick: dieser schleppende Gang, der linke Flügel baumelte herum. Ines lief ihm entgegen. Wortlos schmiegten sie sich aneinander. Was war geschehen? José kroch in die Höhle und atmete schwer. „Um ein Haar hättest du mich nicht wieder gesehen. Ein Fischer hat mich eingefangen und gefesselt. Stell dir vor, ich sollte der Weihnachtsbraten werden.“ Ines erschrak und zitterte vor Schreck. „Und dann hat er dich doch wieder freigelassen“, fragte sie zögernd. „Ach woher“, wetterte nun José. Nach drei Tagen ohne Futter war ich so abgemagert, dass ich mich aus der Verschnürung heraus wursteln konnte. Aber als ich gerade über Bord gehen wollte, hat er mir noch einen Gummistiefel nachgeworfen. Und der erwischte mich voll am linken Flügel.“ Ines knabberte tröstend an Josés Schnabel.

Ines und Jose2

Am nächsten Morgen ging es José schon viel besser. Aber er war trotzdem traurig, denn die Zeit zum Eierlegen war für Ines vorbei. Sie würden dieses Jahr ohne Baby sein. Ines hatte eine Idee. Esperanza, ihre Cousine, hatte zwei Eier gelegt und schon jetzt ihre Mühe, beide Eier unter ihrem Bauch zu wärmen. José: „Du meinst – eine Adoption?“ Ines nickte heftig; „frag sie doch mal!“ Und so kam es, dass Ines und José ausgerechnet am Weihnachtsabend ein erstes Picken am Ei hörten. Und als über dem antarktischen Himmel die Sterne blinkten und der Wind wie mit tausend Flöten über den Erdhöhlen spielte, spitzte ein allerliebstes Küken unter Ines Bauch hervor.

© Fischer + Siegmund 2016

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Letzte Aktualisierung 12.01.2023

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