Kurzgeschichten
Vom falschen und richtigen Weihnachtsbaum

„Lalali luleilu“ dudelt der Geldbaum leise vor sich hin. Und mit jeder neuen Blütendolde, die sich öffnet, macht er ein feierliches Gehabe, damit das Ereignis auch jeder mitbekomme. Viele Jahre hatte er die Wintermonate in einer Ecke verbringen müssen, an der es ziemlich kühl war. Aber dieses Jahr steht er mitten im Wintergarten und fühlt sich gewertschätzt, vor allem wenn ein Mensch an ihm vorbei geht und ihn dabei zart berührt. Erstmals ist er auch nicht alleine, sondern umringt von anderen Pflanzen, deren Aura um ihn weht wie ein Schleier.

Oh ja, sie hatten sich alle angefreundet, wenngleich eine Spur an Konkurrenz nicht zu übersehen war. Die stachelige Madagaskar-Palme, die mit ihren vier Metern die Höhe beherrscht, spielt sich gern als Beschützer und Aufpasser auf, ist aber trotzdem ein wenig neidisch, dass ihre weißen Blüten ziemlich braun vor sich hin trocknen. Immer, wenn es allen zu trocken wird, opfert sie eines ihrer spitzen Blätter und schickt es zu Boden, damit Bernhard der Hausherr begreift, dass er vergessen hat zu gießen. Will er etwa sparen? Von wegen Winterruhe. Aber doch nicht in einem Wintergarten.

Auch die Banane mag die kältere Jahreszeit gar nicht. Schließlich war ihre Heimat die Kanarischen Inseln mit durchschnittlich 25 Grad im Sommer wie im Winter. Zwar hat sie sich schon in der fünften Generation an die deutschen Jahreszeiten gewöhnt, aber sie spürt doch, wie ihr Kindel am Stamm das Wachstum verzögert. Außerdem herrscht in ihr die Urangst aller Bananen, ob sie wohl jemals Früchte werde gebären können, wie es ihre Mamma versprochen hatte.

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Zwei Meyer-Zitronen tragen ihre properen Früchte zur Schau. Wie pralle Christbaumkugeln baumelten die orangenen Zitronen an ihren Zweigen, während sich an einigen Astspitzen schon wieder weiße Blüten bereit machten, um ihren betörenden Duft zu verströmen. „Streber“ säuselt die Anthurie. Sie trägt ihre exotischen „Pimmel-Blüten“ zwar das ganze Jahr zur Schau. Aber Duft kann sie nicht erzeugen. Außerdem steht sie immer im Schatten der Madagaskar-Palme und wird beim Gießen hin- und her geschubst, dass ihr manchmal richtig schwindelig wird.

Der Drachenbaum fühlt sich gar nicht wohl. In seinen Achseln haben sich Wollläuse eingenistet und lutschen an den Blattansätzen. Um auf sich aufmerksam zu machen, hält er die Luft an und lässt seine Blätter wie Pfeile zu Boden segeln. Weil er aber ziemlich in der Ecke steht, brauchte es immer ein paar Tage, bis Bernhard das merkt. Heidewitzka – er greift aber schleunigst zur Spritze und macht den Parasiten den Garaus.

Eigentlich funktioniert das Zusammenleben dieser Pflanzen-Persönlichkeiten ganz gut. Die einen sind eher schweigsam; die anderen plappern ständig vor sich hin. Doch plötzlich ändert sich das gesamte Klima im Raum. Ein strubbeliger Geselle wird hereingetragen. Den kennen sie nicht. Und wie der riecht? Wie nasser Hund aus Wald. Gut, er ist grün wie sie. Blüten hat er keine.

Und seine Arme sind mit einem Netz eng an den Stamm gefesselt. Man hört ihn schnauben und würgen, als wolle er sich befreien. Bernhard kommt mit der Schere und schneidet die Fesselung auf. Ein befreiender Seufzer mit einem Hauch ätherischer Duftperlen durchströmt den Wintergarten. Poaw – da halten sich alle die Nase zu und stöhnen.
 
„Ihr seid ekelhaft“, brummt der Tannenbaum, „mir haben sie die Füße abgesägt und ich jammere überhaupt nicht.“ Da wagt sich der Geldbaum vor: „Was bist Du denn für einer? So `was wie Du, war hier noch nie“. „Falsch“, tönt es da von der Madagaskar-Palme herunter, „das ist sicher wieder so ein Weihnachtsbaum, stimmt`s?“ Die Tanne wedelte etwas mit den Ästen. „Ja, das hat man mir so gesagt, aber ich weiß auch nicht, wie das werden soll. Jetzt brauche ich erst mal etwas zu trinken“. Sprach´s und wie gerufen kommt Bernhard und schleppt so ein rundes Ding. „So, jetzt wollen wir Dich mal gut einspannen“, sagt er und spießt den Tannenstumpf auf einen Dorn in der Schale. Wieder seufzt die Tanne. Aber dann spürt sie das frische Wasser und es geht ihr gleich besser. „Bleibt die jetzt immer“ flüstert die eine Zitrone zur Anthurie. Die nippt mit Ihrem Blütenpimmel zaudernd: „Keine Ahnung, letztes Jahr war ich noch nicht da.“ Die Madagaskar-Palme, die schon 20 Jahre im Wintergarten steht, weiß es besser: „Die ist nur auf der Durchreise. Ein paar Tage und dann fliegt sie in die Tonne!“ Die Tanne drückt eine Harzträne heraus: „Du bist ja so gemein!“

Am nächsten Morgen kommen Leute und bestaunen die Tanne. „Was für ein schöner Baum, und so gerade. Bild-hübsch.“ Darüber freut sich die Tanne mächtig. Und dann stecken sie elektrische Kerzen in die Zweige und behängen sie mit bunten Kugeln, silbernen Perlenketten und Lametta-Fäden. Da staunen die Zitronen nicht schlecht und rücken auch ihre Kugeln ins richtige Licht. „Sind wir etwa auch Weihnachtsbäume?“ „Denkt an meine Worte“, erinnert die Madagaskar-Palme: „In wenigen Tagen fliegt die Tanne in die Tonne!“ Aber das geht im „Oh-Tannenbaum-Gesang“ der Menschen unter.

 

© Fischer + Siegmund 2021

 

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Letzte Aktualisierung 12.01.2023

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