Kurzgeschichten
Wenn Engelstrompeten träumen

Ein trüber Dezembertag. Draußen treibt der Wind Schneeflocken vor sich her. In der großen Garage merkt man davon nicht viel. Die wenigen Fenster lassen nur spärliches Licht herein. In einer frostfreien Ecke zwischen Auto, Gartenmöbeln und Geräten stehen zwei große Blumenkübel mit kräftigen, vollkommen kahlen Pflanzenstengeln. Kaum vorstellbar, dass da im Sommer an meterlangen Trieben unzählige Blüten ihren betörenden Duft verströmten. Engelstrompeten, auch Daturas oder Brugmansia genannt, tanken hier Kraft für’s nächste Frühjahr.

„Wenn ich bedenke, dass unsere Leutchen  noch mehr als 160 Blütenknospen abgeschnitten haben, als der Frost kam, hätten sie uns schon ein schöneres Plätzchen zum Überwintern aussuchen können“, mosert Fanfare, die kleinere, „die haben doch einen so schönen Wintergarten.“ Ihren Namen verdankt sie ihren wundervollen, großen weißen Blüten, die im Sommer wie Fanfaren in alle Richtungen emporragen.
 „Dummkopf“, wettert die Nachbarin „Tütü“. Ihr Name beschreibt die schweren gelben Blüten, die im Sommer wie duftige Ballettröckchen zierlicher Tänzerinnen um den Stamm wippten. „Wenn wir im Winter nicht gut ausruhen, dann schaffen wir es auch mit noch soviel Dünger und Wasser nicht, im Sommer genügend Blüten zu produzieren.“

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„Weißt Du noch, als uns Bernhard im Frühjahr auf den Kompost werfen wollte, weil wir so erbärmlich stakelig aussahen?“ Fanfare erzittert bei der Erinnerung. „Erst der Tipp der Nachbarin vom Kleintierzüchterverein hat uns gerettet“, wispert Tütü. „Es war ja schon bitter, wie wenig Ahnung Bernhard von unserer Pflege hatte. Aber dann hat ihm wohl ein Herr Guugel auf die Sprünge geholfen.“ „Au ja“, stimmt Fanfare ein: „Seine Augen wurden immer größer, als wir mit reichlich Dünger und Wasser versorgt, vor Blüten fast explodierten.“ Und Tütü fügt hinzu: „ich habe mich schlapp gelacht, wenn er mit seiner Ute versucht hat, unsere Blüten und Knospen zu zählen. Und erst die Komplimente, wenn wir ihnen abends unseren betörenden Atem entgegen hauchten, wenn sie den Tag bei einem Glas Wein auf der Terrasse ausklingen ließen. Das möchte ich im nächsten Sommer wieder erleben. Also halt die Klappe und lass’ uns ausruhen.“

„Gut dass du mich daran erinnerst“, fängt Fanfare nochmals schwärmerisch an. „Das war schon eine wunderschöne Zeit. Ich liebe es, wenn Bernhard morgens mit seinen weichen Händen über unsere Erde fühlt, ob wir feucht genug sind.“ „Ist ja gut“, stöhnt Tütü, „mir war das manchmal schon zuviel Gedöns, diese Fummelei. Er tut es ja noch immer. Aber jetzt möchte ich hier auch mal ein bisschen in Ruhe dösen. So `ne Art Winterschlaf halten. Manchmal habe ich Sorge, dass ich zu früh austreibe und dann nicht richtig zum Blühen komme.“

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Als aber Bernhard vor Weihnachten schon über zwei Wochen lang nicht mehr nach den beiden Pflanzen gesehen hat, wird es auch Tütü zuviel mit der Ruhe. „Die machen immer einen Trubel mit ihrem Weihnachten und vergessen uns womöglich noch. Hast du gesehen, wie sie die abgeschnittene Tanne in einen Ständer gesetzt haben. Das arme Ding kann doch gar nicht mehr wachsen.“ „Da haben wir es doch besser“, freut sich Fanfare.“ „Du hast gut reden“, mault Tütü, „wenn unser Wurzelballen vor lauter Weihnachtstrubel erstmal ausgetrocknet ist, geht es uns am Ende nicht besser als der Tanne.“ „Nun mal’ nicht den Teufel an die Wand“, bibbert Fanfare, „ich hab ja wirklich schon ganz trockene Füße.“
Am Heiligabend hören die beiden Engelstrompeten, wie über Ihnen im Wintergarten die Familie eintrifft und zum großen Weihnachtsessen rüstet. Bernhard sehen sie nur vorbeihuschen, wenn er Getränke holt. „Also heute sehe ich wieder schwarz, dass sich jemand um uns kümmert“, stöhnt Tütü schon ganz apathisch. Und Fanfare jammert solidarisch mit. Über ihnen lösen Teller- und Besteckklirren das Gesprächspalaver ab. Dann ertönt eine weihnachtliche Flötenmelodie. Scheint der Enkel zu sein, der gern auf der Flöte spielt. Sogar ein paar klägliche Singversuche erklingen. Bei soviel Stimmung vergessen die beiden Pflanzen kurz ihre Ängste, um danach viel tiefer in Hoffnungslosigkeit zu versinken. Es wird still im Haus. Plötzlich öffnet sich die Tür, Licht flammt auf und Bernhard beugt sich mit der Wasserkanne besorgt über die Blumenkübel. „Da hätte ich Euch ja fast vergessen“, murmelt er und betastet die Blumenerde, bevor er sie vorsichtig anfeuchtet. „Und das am Heiligabend. Aber jetzt ist es ja hoffentlich wieder gut.“ „Ja, Gott sei Dank“, seufzen die beiden Engelstrompeten im Chor, aber das kann Bernhard ja nicht hören.

© Fischer + Siegmund 2011

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Letzte Aktualisierung 12.01.2023

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