Kurzgeschichten
Winter am Meer

Winter am Meer

Raureif umklammerte Gräser und Bäume. Und Eisplacken bedeckten die See. Wie mit Puderzucker bestreut kuschelten sich die Ferienbungalows in die Kuhlen der Dünenpolster. Kein Rauch züngelte aus den Schornsteinen. Nur ein Paar ausgesetzte Christbäume und abgebrannte Silvesterkracher erinnerten an laute, lustige Tage. Doch mit dem zweiten Januar verlosch der Spuk wie er gekommen war. Mit einer großen Fähre übers Wasser.

"Heute schon gut gespiesen", keckerte Jakko, die Möwe schadenfroh hinunter zu den Fasanen. Die drückten sich Schulter an Schulter und marschierten auf der Stelle, damit ihnen die Füße nicht am Boden anfroren. "Schauz nicht hoch zu dem Idioten", raunte Ida, das Fasanenweibchen und wärmte sich das Köpfchen unter ihrem rechten Flügel. "Einfach ignorieren!". "Mir knurr-rurr-rurrtt der Magen, dass ich mir am lie-hieb-bsten die Nägel abkauen würde", bibberte Willi, der Fasanenhahn und pickte zornig zwischen seinen Zehen herum. "Äi, eben habe ich einen Brotkrümel auf den Kopf bekommen", schrie Henne Elfi aufgeregt; "Jakko, du Mistkerl, sag uns sofort, wo du das Brot her hast!"

Aber Jakko kicherte nur lachmöwisch, schäkerte ordinär mit dem rechten Flügel und machte sich davon. "Wir müssen ihn verfolgen", japste Elfi, die an diesem Morgen erst drei kleine Beeren geknabbert hatte. "Schaut mal da", wisperte Henne Berta, "da wo die Dohlen kreisen, da muss es was geben." "Ich komme auch mit", kreischte die zerfledderte Rita, die sich am Morgen durch einen Maschendrahtzaun zu einem Komposthaufen gezwängt hatte. Und so zogen die fünf los in Richtung Dohlen-Gekreische.

Vorsichtig linsten sie zwischen vereisten Halmen auf ein erleuchtetes Fenster. Davor balgte sich Jakko mit mehreren Dohlen um Brotkrümel und Apfelstückchen. Er zwickte sie in die Beine und lachte sie bei jedem Schmerzschrei halb kaputt. Dann packte er sich beide Backen mit den letzten Krümeln voll und flog davon. Mitfühlend beobachteten die Fasane, wie die Dohlen vergeblich auf dem Boden nach Krümeln pickten und davon trotteten.

"Ich hab sooo Hunger", zeterte Willi und war dem Weinen nah. "Reiß Dich zusammen", fauchte ihn Rita an. "Was soll das Gewimmer. Lass uns lieber überlegen, wie wir die Menschen dazu bringen, auch uns etwas zu geben." Sie steckten die Köpfchen zusammen. "Wir könnten ein bisschen weinen", meldete sich Berta zu Wort "und auf ihre Tränendrüsen drücken". "Das funktioniert hier nicht", meinte Elfi, aber guckt mal, die sitzen mit Fotoapparat am Fenster. Vielleicht sollten wir ihnen ein schönes Motiv bieten!" "Nein, nein, nicht wieder ich", maulte Willi und ließ seine bunten Schwanzfedern extra schlaff nach unten hängen. "Denk an unser hungriges Weihnachtfest", erinnerte Rita und fuhr fort "mit unseren braunen Wintermänteln stellen wir doch nichts dar. Dafür kriegst du auch eine doppelte Portion, wenn es klappt!"

Willi zierte sich noch immer. "Du darfst auch an meiner Schweißdrüse lecken", wenn Du es tust, versprach Ida. "Und ich zeige Dir mein geheimes Versteck für saukalte Tage", versprach Berta. Elfi schickte ihm einen vielsagenden Blick. "Ich habe Angst", sagte Willi leise, "womöglich wollen die mich braten." "Quatsch", fiel im Rita ins Wort, "du bist doch viel zu mager. Außerdem sind die Feiertage vorbei. Jetzt sind alle auf Diät.

Willi schluckte schwer. Dann holte er tief Luft, spannte die Pomuskeln, reckte sein Hinterteil nach oben und ließ seinen bunten Federschweif wie eine Fahne im Wind flattern. "Heb ein Bein", raunte Rita und "Kopf hoch". Und Willi stand brav wie ein bunter Soldat vor dem Fenster. Enttäuschung keimte in ihm, weil die Menschen wegliefen. Dann klappte die Haustüre. Willi rutschte das Herz in die Zehen, als da plötzlich zwei geduckte Gestalten langsam aber stetig auf ihn zukrochen und klickende Geräusche von sich gaben. Hilfesuchend schaute er sich nach Rita, Berta, Ida und Elfi um. Aber die hatten sich verkrochen.

"Feige Weiber", machte sich Willi selbst Mut, stellte sich wieder auf zwei Beine und trippelte Sicherheits halber einige Schritte rückwärts. Und tatsächlich flogen ihm die ersten Brotbrocken entgegen. Willi machte einen Diener und pickte blitzschnell danach. Ein herrliches Gefühl, so einen feinen Brocken durch die Kehle zu würgen. "Mehr, mehr" zwinkerte Willi den Gestalten zu und posierte nun vor einem vergessenen Tennisball. Und wieder landeten kleine Brotstücke vor seinen Füßen. Willi nahm ganz deutlich Leberwurst wahr. Das machte ihn mutig. Er trippelte drei Schritte nach rechts und drei nach links und drei nach rechts und wieder drei nach links. "Und jetzt mit Flash", hörte er noch. Dann zog es ihm die Augen zu in einem hellen Blitz, der ihn ausgerechnet traf, als er gerade einen klitzekleinen Pups absetzen wollten. Willi taumelte benommen. Plötzlich traf ihn etwas ungeheuer Großes am Kopf, so dass es ihm die Füße wegriss. Verdattert schüttelte er sich und registrierte das Wurfgeschoss als riesige Brotscheibe.

Wieder klappte die Türe. Dann Stille. Willi pickte nach der Brotscheibe. Trocken. Wo war die Leberwurst? Plötzlich huschten die vier Grazien herbei. "Du warst fantastisch", raunte ihm Rita zu. "Das werden wir Dir nie vergessen", schwor Berta feierlich. "Du bist der tollste Hahn in den Dünen", zwinkerte ihm Elfi zu. Nur Ida bückte sich wortlos nach den Bröckchen und schlang, was ihr vor den Schnabel kam. "Irgend etwas duftete nach Leberwurst", sinnierte Willi. "Das bildest Du Dir nur ein", fiel ihm Rita ins Wort, die gerade den letzten Brocken mit dem feinen Wurstduft hinunter würgte. Dann eilten sie mit vollen Bäuchen in ihre Lieblingskuhle und kuschelten sich alle an einander.
Als der Mond aufging, hockten sie noch immer beisammen. Sie lauschten auf die Flut, die donnernd Eisschollen an den Strand stapelte. Ida und Rita schnarchten schon. Berta huschte noch mal ins Gebüsch. Und Elfi stupste Willi an: "Du, schöner kann Weihnachten bei den Menschen auch nicht sein!" Sprach`s und drückte ihm einen dicken Kuss auf den Schnabel.

© Fischer + Siegmund 1999

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Letzte Aktualisierung 12.01.2023

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